Die andere Ostsee

Unsere Ostsee hat einen vietnamesischen Namensverwandten. In Vietnam heißt das Südchinesische Meer nämlich auch Ostsee. Seit dem 17. Jahrhundert zeigen vietnamesische Land- und Seekarten die Paracel- und die Spratley-Inseln in dieser anderen Ostsee als vietnamesische Inseln. Darüber wurde kürzlich im vietnamesischen Fernsehen berichtet, während die politischen Wellen um die Inseln seit Jahren hochschlagen.

Denn China beansprucht die Inseln, die umliegenden Fischereigründe und die Rohstoffe unter dem Meeresgrund für sich. Die USA wollen das nicht akzeptieren, haben Kriegsflotten entsandt und rüsten Taiwan hoch. Die Philippinen und Malaysia [1], [2] erheben ebenfalls Ansprüche auf die Inseln, jedoch mit einem erkennbaren Willen zur Einigung, was die Spannung in der Region lockert.

Konfliktzone Südchinesisches Meer

Die Geschichte ist für gegenwärtige Politik nicht unbedingt eine normative Größe, selbst wenn zwei kommunistische Nachbarländer sich streiten. Wie so oft, zählt nur das Recht des Stärkeren. In diesem Fall sind das China und – nicht Vietnam! – sondern die USA, weil die USA den regionalen Konflikt für ihren Kampf um weltweite Dominanz ausnutzen wollen.

Seit 2011 gehört die „Eindämmung Chinas“ zum erklärten Ziel der US-amerikanischen Außenpolitik. Obama fing es an. Trump hat es fortgeführt. Dazu werden Allianzen mit Chinas Nachbarn geschmiedet. Aber die alte imperiale Strategie des „Teile und herrsche“ gehört auch dazu. Denn wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.

Und im Falle der fernöstlichen Ostsee gibt es viele Konfliktparteien, so dass eine gütliche Lösung besonders schwer zu erzielen scheint, während nationalistische Streitigkeiten besonders leicht geschürt werden können.

Konfliktlösungen

Mögliche Lösungen sind:

  1. Status quo ante: Der Zustand vor der Befestigung der Spratley-Inseln durch China. Keine Lösung. Ein dauerhafter Konflikt. Regional nur Verlierer. Heimlicher Gewinner: Die USA.
  2. The Winner takes it All: Das wäre dann wohl China. Der einseitig entschiedene Konflikt böte aber den Nährboden für neue Konflikte. Heimlicher Gewinner: Wieder die USA.
  3. Totgesagte leben länger: Vietnam bekommt den Zuspruch aufgrund historischer Besitzansprüche. Das mag zunächst gerecht erscheinen, wäre aber auch die Büchse der Pandora, wenn aufgrund dessen weltweit historische Gebietsansprüche eine Renaissance erleben sollten. Der Vorrang der Historie könnte unkalkulierbare Folgen haben.
  4. Win-Win: Die gemeinschaftliche Nutzung der Inseln und zugehörigen See, z.B. in Form eines Joint Ventures, so dass alle Anrainer davon profitieren. Außen vor: Die USA.

Kooperation

Die Win-win-Option erscheint am sinnvollsten.

China, Vietnam, die Philippinen und Malaysia sind vier Staaten. Das ergäbe für jeden Staat 25 %. Der Entwicklungsschub aufgrund des Joint Ventures würde die beteiligten Wirtschaften und damit auch die Güterströme auf Chinas „Neuer Seidenstraße“ ankurbeln.

Das wäre letztlich auch keine Niederlage für China, falls man sich zuvor Hoffnungen auf eine Aufteilung proportional zur Landesbevölkerung gemacht hätte (CN: 85 %, VN: 6 %, PH: 7 %, MY: 2 %). Alle hätten etwas davon, und sei es nur mehr Geld im Portemonnaie, um beim großen Nachbarn mehr zu kaufen. Frieden und ein gemeinsames Projekt für eine partnerschaftliche Entwicklung sind mehr wert als sich wägen und zählen lässt.

Weise Naivität?

Das Urteil der politischen Naivität über diesen Lösungsvorschlag steht nun sicherlich fest. Unter machtpolitischen Gesichtspunkten käme so ein Vorschlag nämlich niemals in Frage. Das spricht allerdings Bände über die realpolitische Unkultur.

Zu so einer Lösung gehört eine unrealistische Portion Optimismus, oder eine salomonische Kühnheit. Wie seriös und erwachsen sind Muskelspiele um ein paar Felsen im Meer, und wie kindlich einfach die Beilegung eines Streits zugunsten einer für alle vorteilhaften Lösung?

China und die Philippinen haben sich kürzlich bereits auf eine bilaterale Öl- und Gas-Exploration geeinigt. Solche Einzelabkommen sind als friedliche „kleine Lösungen“ zwar erfreulich, der „große Wurf“ einer multilateralen Gesamtlösung hätte allerdings den Reiz, Geschichte zu schreiben. Denn auch wenn sie nicht normativ ist, so ist Geschichte doch affirmativ für die Politik.